Nachruf: Dr. Rüdiger Kilian

Gründer der DGKPha und Vorreiter für die Krankenhauspharmazie in Deutschland

Rüdiger Kilian war ein Glücksfall für die Krankenhauspharmazie in Deutschland. Ende der 1980er-Jahre herrschte Aufbruchstimmung unter Klinikapothekern, die ihre Aufgabe nicht mehr nur vorrangig in der Herstellung und Logistik sahen. Sie wollten „Clinical Pharmacists“ nach angelsächsischem Vorbild sein, also Apotheker, die patientenorientierte, klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen am Krankenbett anbieten. Rüdiger Kilian war ein Vorreiter auf diesem Gebiet und wurde durch sein Engagement, seine Leidenschaft und ansteckende Begeisterung zum Vorbild einer ganzen Generation von Krankenhausapothekern.

Rüdiger Kilian wurde am 2. März 1939 in Welzheim im Rems-Murr-Kreis als zweites von drei Kindern geboren. Kindheit und Jugendzeit waren nicht einfach. Der Vater, von Beruf Zahnarzt, ist früh verstorben und der tragische Unfalltod der Mutter machte Rüdiger im Alter von 16 Jahren zum Vollwaisen. Er und seine Geschwister kamen im Kreis der Verwandtschaft unter. Die ländliche Umgebung, in der er aufwuchs, weckten in ihm schon früh eine ausgeprägte Liebe zur Natur und zu Abenteuern. Ein Schulfreund charakterisierte ihn als wissbegierigen Kameraden mit ausgeprägtem Forscherdrang und vielfältigen Interessen. Nach dem Abitur studierte er zunächst Jura in München, merkte aber schnell, dass dieses Fach nichts für ihn war. Anschließend begann er nach dem damals noch obligatorischen Vorpraktikum (in der Moltke-Apotheke Stuttgart) an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Pharmazie zu studieren – und lernte nebenbei Spanisch. Im Jahr 1968 beendet er seine Ausbildung mit der Promotion.

Zeit der Abenteuer

Bald darauf verließ er die eingefahrenen Bahnen in „Good Old Germany“ und es begann eine Zeit der Abenteuer. Unterbrochen von mehreren Vertretungen in öffentlichen Apotheken in Deutschland, unternahm Kilian zwischen 1969 und 1974 Reisen durch die Regenwälder von Kolumbien und Peru. Er lebte mit Indianerstämmen, studierte deren Pflanzenwelt und Heilmethoden und wurde schließlich vom Stamm der Waunana-Indianer aus dem Chocó-Gebiet in Kolumbien zum Medizinmann geweiht. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau Irmengard kennen und im Jahr 1975 heiratete er die bayerische Lehrerin. Sein weiterer beruflicher Lebensweg führte ihn zunächst in die Heimat zurück und dann gemeinsam mit seiner Frau immer wieder in die Welt hinaus. Von 1975 bis 1976 war er Krankenhausapotheker im Paracelsus Krankenhaus Ruit in Ostfildern, dann zwei Jahre Chefapotheker am Kilimanjaro Christian Medical Centre in Moshi (Tansania), von 1979 bis 1981 wiederum approbierter Mitarbeiter im Marienhospital Stuttgart und schließlich drei Jahre auf Mahé Chefapotheker der Regierung der Republik Seychellen.

Bei seinen Einsätzen in Afrika baute Kilian unter schwierigsten Bedingungen die Eigenherstellung für sterile und nicht-sterile Arzneiformen auf. Der herrschende Ressourcenmangel forderte von ihm fachliches Können, Improvisationsgabe und einen hohen persönlichen Einsatz. Zusätzlich galt es, die Arzneimittelversorgung aktiv gegen Korruption und Diebstahl zu verteidigen.

Er empfand es als Ausgleich für die großen logistischen Schwierigkeiten, nahe an den Patienten und eng mit den Ärzten zusammenarbeiten zu können. Sein Rat war bis in die jeweiligen Regierungsebenen gefragt.

Vorbereitet hatte er sich für diese Aufgaben durch Sprachkurse in Englisch, Spanisch, Französisch und Suaheli. In Großbritannien erwarb er die notwendigen Kenntnisse für die aseptische Herstellung. Als Autodidakt und bei Visiten in der Klinik vor Ort eignete er sich das notwendige Wissen über die Tropenmedizin an. Nach mehr als acht Jahren im Auslandseinsatz kehrte die Familie mit den inzwischen geborenen Kindern Petra und Andreas nach Deutschland zurück.

Chefapotheker in Heilbronn

Im Jahr 1984 wurde Rüdiger Kilian Chefapotheker am SLK-Klinikum in Heilbronn und die Familie fand im nahe gelegenen Leingarten ihre neue Heimat. Die Krankenhausapotheke in Heilbronn entwickelte sich unter seiner Führung schnell zu einer Vorzeigeapotheke, einem Zentrum gelebter Klinischer Pharmazie. Schon 1985 etablierte er das Therapeutische Drug Monitoring für Aminoglykoside, Theophyllin und Vancomycin, Digitalisglycoside und Antiepileptika folgten. Weitere Meilensteine waren die Einführung einer zentralen Zytostatikazubereitung und eines standardisierten parenteralen Ernährungsservice für Früh- und Neugeborene (1991). Für die Ernährung von Früh- und Neugeborenen konnte er zusammen mit den Ärzten wegweisende Entwicklungen anstoßen. Im Jahr 1998 folgte dann auch der Ernährungsservice für Kinder und Erwachsene. Begünstigend kam 1996 der Umzug in ein neues Krankenhaus mit dem Neubau der Apotheke dazu. Die notwendigen baulichen Anforderungen für die sterile und aseptische Herstellung konnte er damit erfüllen. Es gelang ihm, Ärzte, Verwaltung und Träger des Krankenhauses von der Notwendigkeit einer leistungsfähigen Pharmazie zu überzeugen und machte damit die SLK-Klinik Heilbronn zu einer Einrichtung, die Maßstäbe setzte. Die Arbeit hier erfüllte ihn: „Das war mein Krankenhaus. Wir waren ein tolles Team.“

DGKPha – Deutsche Gesellschaft für Klinische Pharmazie e. V.

Während seiner Zeit in der Entwicklungshilfe knüpfte Kilian beste Beziehungen zu Kollegen und Einrichtungen besonders in England, den Vereinigten Staaten und den Niederlanden.

Die Entwicklung der Klinischen Pharmazie in diesen Ländern war der in Deutschland zum Teil um Jahrzehnte voraus. Kilian erkannte den riesigen Nachholbedarf und so war er derjenige, dem es gelang, pharmazeutische Fachleute für Pharmakokinetik, klinische Ernährung für Früh- und Neugeborene, Kinder und Erwachsene, aseptische Zubereitung und Wundmanagement für Fort- und Weiterbildungsseminare nach Deutschland zu holen. Zahllose Seminare auf diesen Gebieten fanden ab Mitte der 80er-Jahre vor allem in Heilbronn, Stuttgart und Tübingen statt und motivierten besonders die jüngeren Kollegen, das Gelernte in ihren Kliniken zu etablieren und auch durch Aufenthalte im Ausland weiter zu vertiefen.

Dr. Rüdiger Kilian war nicht nur in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Apothekern engagiert, sondern schulte in seiner Klinik auch Ärzte, Ärzte im Praktikum und Pflegekräfte.

Logische Notwendigkeit dieser Aktivitäten war, die Klinische Pharmazie auch politisch sichtbarer zu machen. Das Fach Klinische Pharmazie war damals noch ein Stiefkind an den deutschen Universitäten. Es gab nur einen einzigen Lehrstuhl am Pharmazeutischen Institut der Freien Universität Berlin. Britische Kolleginnen und Kollegen, allen voran Dr. Soraya Dhillon von der „London School of Pharmacy“ überzeugten die deutschen Apotheker von der längst überfälligen Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie“, die am 5. September 1992 in Heilbronn stattfand mit Rüdiger Kilian als Mitglied Nr. 1 und 1. Vorsitzenden.

Es war Rüdiger Kilian immer wichtig zu betonen, dass patientenorientierte Pharmazie nicht auf das Krankenhaus beschränkt ist, und so war es auch folgerichtig, dass die von ihm gegründete DGKPha für alle an der Klinischen Pharmazie interessierten Berufsgruppen offen sein sollte. Außer den Klinikapothekern sind dies vor allem Kolleginnen und Kollegen aus Offizin, Industrie sowie Forschung und Lehre.

Clinical Pharmacy Course in Tübingen

Neben den unzähligen Fortbildungen, die Rüdiger Kilian organisierte und in denen er sehr oft auch selbst als Referent auftrat, hat er im Jahr 1997 als Projekt der DGKPha mit Unterstützung der UCL London School of Pharmacy mit Dr. Soraya Dhillon und dem Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen unter Prof. Dr. Lutz Heide den vierwöchigen Weiterbildungs- und Zertifikatskurs „Clinical Pharmacy“ ins Leben gerufen.

Von Anfang an war es wichtig, nach britischem Vorbild des „teaching practitioner“ als Referenten für diesen Kurs Kolleginnen und Kollegen aus Krankenhausapotheken mit Erfahrung in klinisch-pharmazeutischen Dienstleistungen zu gewinnen. Was den Kurs für die Teilnehmer schon damals besonders attraktiv machte, ist das an den Seminarteil anschließende, durch einen erfahrenen Krankenhausapotheker betreute, obligatorische zweiwöchige Praktikum am Krankenbett.

Getragen vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, sowie ADKA, AAHP und DGKPha hat der nun seit mehr als 25 Jahren existierende Weiterbildungskurs über 500 Kolleginnen und Kollegen in Theorie und Praxis der klinischen Pharmazie unterrichtet. Nach wie vor ist der Tübinger Kurs sehr gefragt und jedes Jahr mit mehr als 20 internationalen Teilnehmern ausgebucht.

Das Abenteuer geht weiter

Nach 19 Jahren als Chefapotheker am SLK-Klinikum Heilbronn ging Rüdiger Kilian 2003 in den sogenannten „Ruhestand“. Alle, die ihn kannten, wussten natürlich, dass das so nicht stimmte. Die Worte Rentner und Ruhestand mochte der fitte Mann überhaupt nicht. Vielmehr sah er sich als Entwicklungshelfer und machte sich zusammen mit seiner Frau Irmengard bald auf, um das abenteuerliche Leben fortzusetzen.

Die Einsätze ließen nicht lange auf sich warten, schon 2003 rief ihn ein Freund nach Osttimor, weitere folgten: das Tsunami-Gebiet in Sri Lanka 2005, Pakistan 2006 und 2007, Haiti 2010, als Flutopferhelfer für DEMIRA e. V. in Pakistan 2010.

Einsatz in Pakistan (Foto: privat)

Ein besonderes Anliegen war ihm auch die Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen in Afrika. Für das Difäm (Deutsches Institut für ärztliche Mission e. V.) schulte er viele Jahre lang in zahlreichen afrikanischen Ländern pharmazeutisches und medizinisches Personal in der Anwendung der sogenannten „Minilabs“, mit denen durch qualitative und semiquantitative Tests relativ einfach Medikamentenfälschungen aufgedeckt werden können.

Minilab-Schulung in Afrika (Foto: privat)

Natürlich pflegte und genoss er auch das Familienleben mit seinen Kindern und Enkeln. Auf jedem seiner Wege interessierte er sich für die Natur, deren Schönheit er bei allen Gelegenheiten mit dem Fotoapparat einfing.

Rüdiger Kilian verstarb kurz nach seinem 85. Geburtstag am 9. März 2024.
Menschen, die ihn kannten, erinnern sich an einen engagierten, zielstrebigen, geradlinigen, immer positiv eingestellten, lebensfrohen Menschen. Viele Momente der Begegnungen bei Fortbildungen oder den darauffolgenden abendlichen Treffen mit den kurzweiligen Erzählungen seiner abenteuerlichen Erlebnisse bleiben immer in Erinnerung.

Er hinterlässt seine geliebte Frau Irmengard, Tochter Petra und Sohn Andreas mit den vier Enkelkindern.
Die Apothekerschaft trauert um ihren Pionier der Klinischen Pharmazie.

Dr. Anton Bär, Schwabach
Peter vom Schemm, Pforzheim
Dr. Anette Vasel-Biergans, Stuttgart

29.03.2024

(Foto: privat)